Berlin. Das Feuer im Grunewald ist kein Einzelfall. Von Munitionsschrott geht eine Gefahr aus. Über eine spezielle Vergangenheitsbewältigung.

Deutschland müsste man umgraben. Überall liegen Sprengkörper vergraben, die wie aktuell im Berliner Grunewald bei Hitze oder Druck hochgehen können: Im Boden, in den Wäldern. Auch in Flüssen, in Seen und im Meer können sie zum Problem werden.

Im Grunewald in Berlin brach das Feuer auf dem Sprengplatz der Polizei aus. Doch auch von militärischen Altlasten geht eine Gefahr aus, nicht nur durch Leckagen, sondern auch durch Explosionen und Brände. Es sind die Lasten der Vergangenheit, meist stammen sie aus

  • zwei Weltkriegen,
  • von den in Deutschland jahrzehntelang stationierten Alliierten, Amerikanern, Briten, Franzosen, Kanadiern, Belgiern,
  • von der Nationalen Volksarmee, der Roten Armee,
  • und von der Bundeswehr.

Bei der Hitzewelle 2019 geriet in Lübtheen in Mecklenburg-Vorpommern ein Wald in Brand, der von Reichswehr und Wehrmacht benutzt, von der Rote Armeen gesprengt, von der Nationalen Volksarmee und der Bundeswehr als Truppenübungsplatz erneut genutzt wurde. Ein Wald, fünf Armeen – und fünf Mal Militärschrott.

Wie viele Kampfmittel lagern in den deutschen Wäldern?

Alte Munition sieht man zumeist nicht. Keiner führte Buch, wo sie vergraben liegt. Es gibt laut Umweltbundesamt zwar eine bundesweite Bestandsaufnahme der Liegenschaften. Aber welche Gebiete kampfmittelbelastet sind – wie stark –, ist unklar.

Im Osten nahmen einige Bundesländer, beileibe nicht alle, das Angebot des Bundes an, die Altlasten zu übernehmen und nach einer Entsorgung die Liegenschaften zu vermarkten. Grundsätzlich liegt die Verantwortung für die Beseitigung von Kampfmitteln bei den Ländern.

In Brandenburg, Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpommern wird die Munitionsbelastung zentral in Kampfmittel-Katastern erfasst. In anderen Ländern, etwa in Thüringen und Bayern, gibt es keine staatlichen Aufzeichnungen über belastete Gebiete. Teilweise wurde die Kampfmittelberäumung dort in die Hand privater Dienstleister gelegt.

Feuerwehr vermisst Kartierung der belasteten Flächen

Diese Restunsicherheit macht der Feuerwehr Sorgen. "Um überhaupt richtig reagieren zu können, bräuchten wir eine für die Feuerwehr zugängliche Kartierung der kampfmittelbelasteten Flächen", sagte Ulrich Cimolino vom Deutschen Feuerwehrverband unserer Redaktion.

Für die Feuerwehr ist der Einsatz in kampfmittelverseuchten Gebieten eine Herausfiorderung. "Die Feuerwehr muss bei Bränden auf Flächen mit Kampfmittelverdacht einen Sperrkreis einhalten." Schon beim kleinsten Radius von 250 Metern habe die Feuerwehr keine Chance mehr, den Brand von außen zu löschen, sagt Cimolino.

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Erst im Juli dieses Jahres brannte ein Waldgebiet rund um den Truppenübungsplatz bei Jüterbog in Brandenburg. Zwar wird das Gelände seit den 1990er Jahren nicht mehr militärisch genutzt, dennoch lagert auch hier immer noch unterschiedlichste Munition.

Das Marburger Büro für Altlastenerkundung und Umweltforschung geht von einem militärischen Flächenverbrauch im Westen von rund 450.000 Hektar aus, etwa die doppelte Ausdehnung des Saarlandes. In der DDR wurden etwa 277.000 Hektar von der NVA und 240.000 Hektar von den sowjetischen Streitkräften beansprucht, was etwa der Hälfte der Fläche des Bundeslandes Rheinland-Pfalz entspricht.

Die einfachste Entsorgung: In Ost- und Nordsee kippen

Streng genommen müsste man das ganze Land geomagnetisch untersuchen. Bei jedem Verdacht müsste das betreffende Gebiet geräumt, Munition kontrolliert gesprengt oder gehoben werden. Vom Kriegsschrott geht eine wachsende Gefahr aus, am stärksten im Meer.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte jedoch der Wiederaufbau Priorität. Man hatte weder das Geld noch das Umwelt- und Problembewusstsein, um Munition sachgerecht zu entsorgen. Die billigste und einfachste Form war, alles in Nord- und Ostsee zu kippen. Schätzungsweise 1,6 Millionen Tonnen Weltkriegsmunition wurden dort verklappt. Tickende Zeitbomben.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.