Karlsruhe. Mit Zehntausenden Kunden hat sich VW im Dieselskandal schon auf einen Vergleich geeinigt. Vor dem BGH wird aber nach wie vor über Fälle verhandelt. Dieses Mal ging es nicht zugunsten der Kunden aus.

Einen ganzen Stapel an Fällen zum VW-Dieselskandal hat der Bundesgerichtshof (BGH) schon verhandelt. Doch immer wieder müssen die Richter und Richterinnen in Karlsruhe neue und mitunter speziellere Fragen lösen. So wie an diesem Mittwoch.

Worum ging es diesmal?

Zum ersten Mal haben sich die obersten Zivilrichter Deutschlands mit Klagen von Dieselkäufern gegen ihre Autohändler befasst. In allen vier Fällen wollten die Kläger, dass ihre etliche Jahre alten Autos mit dem Skandalmotor EA189 gegen einen Neuwagen getauscht werden. Sie hatten die fabrikneuen Wagen 2009 beziehungsweise 2010 gekauft - und hatten dann sieben, acht Jahre später den Tausch verlangt und geklagt. Da liefen schon die Nachfolgemodelle vom Band. Die Frage war nun, ob sie sich vom Händler auf das Software-Update verweisen lassen müssen, weil der Ersatz des Fahrzeugs durch ein Nachfolgemodell unverhältnismäßig wäre. Ein Volkswagen-Sprecher bezifferte die Menge der betroffenen Verfahren auf eine mittlere zweistellige Zahl.

Wie sehen das die Kunden und Händler?

Die Rechtsanwälte beider Seiten waren sich vor dem BGH einig, dass es keine zeitliche Frist geben sollte. Für die Händlerseite argumentierte Rechtsanwalt Thomas Winter unter anderem, dass es vielmehr auf den Kaufgegenstand ankomme. Käufer und Verkäufer hätten den Vertrag für ein bestimmtes Modell abgeschlossen, womöglich wolle der Kunde gar kein anderes, das in Aussehen oder Leistung abweiche.

Das hielt sein Kollege Siegfried Mennemeyer, einer der Vertreter der Gegenseite, für abwegig: Anders als Wein, bei dem jeder Jahrgang anders sein könne, entwickelten sich Autos nur in eine Richtung weiter: Sie würden besser. Weil VW arglistig Kunden über den Schadstoffausstoß getäuscht habe, hätten diese auch generell ein Recht auf Ersatz. Und wenn das alte Modell nicht mehr produziert werde, müsse es eben ein neueres sein, waren sich die Anwälte der Verbraucher einig. Hinzu kommt, dass die betroffenen Verkäufer keine Verjährung geltend gemacht oder bewusst darauf verzichteten hatten.

Wie hat der BGH entschieden?

Der achte Zivilsenat hat dennoch eine klare zeitliche Grenze gezogen: Zwar könne ein Kunde für ein mangelhaftes Neufahrzeug im Rahmen der Gewährleistungsrechte auch ein Nachfolgemodell verlangen. Das gelte aber nur für den Fall, "dass er einen entsprechenden Anspruch innerhalb von zwei Jahren ab Vertragsschluss gegenüber seinem Verkäufer geltend macht", erklärte der BGH.

Hatte der BGH nicht mal anders entschieden?

Als infolge des Dieselskandals die Fälle beim Gang durch die Instanzen den BGH erreichten, wurden immer mal wieder Verhandlungen abgesagt, weil sich die Parteien zwischenzeitlich geeinigt hatten. Die Aufhebung eines angesetzten Termins im Februar 2019 nutzte der achte Zivilsenat für einen sogenannten Hinweisbeschluss, in dem es ebenfalls um den Anspruch von Käufern eines mangelhaften Neufahrzeugs auf Ersatzlieferung bei einem Modellwechsel ging. In einer vorläufigen Einschätzung bestätigten die Richterinnen und Richter dies ohne zeitliche Begrenzung. Allerdings, so sagte die Vorsitzende Richterin, Karin Milger, hatte der Käufer in dem damaligen Fall wenige Monate nach Vertragsabschluss den neuen Wagen gefordert.

Was ist nun anders?

Vor allem der lange Zeitraum spielt eine Rolle, in dem die Kunden ihre Autos genutzt und damit auch abgenutzt haben. Wer sein Auto dann nach sieben oder acht Jahren durch ein neues Nachfolgemodell ersetzt haben wolle, der wolle im Grunde ein abgefahrenes Fahrzeug abgeben und ein komplett neues haben, sagte Milger. Das habe aber nichts mit einer interessengerechte Auslegung nach beiden Seiten hin zu tun.

Wie hat der BGH bisher in anderen Dieselfällen entschieden?

Hier ist keine generelle Aussage möglich. In seinem ersten und wichtigsten Urteil zum Abgasskandal im Mai 2020 hatte der BGH entschieden, dass VW seine Kunden systematisch getäuscht hat: Hätten sie gewusst, dass Autos mit dem Motor EA189 viel mehr Schadstoffe ausstießen als auf dem Prüfstand messbar, hätten sie sich wohl für ein anderes Fahrzeug entschieden. Inzwischen hat der BGH viele Detailfragen geklärt oder verhandelt noch darüber. Da geht es mal um Fälle, bei denen das mangelhafte Auto schon verkauft wurde, mal um Spezialfragen beispielsweise zu Leasing-Autos oder zur Verjährung. Nicht immer entschied der BGH dabei zugunsten der Käufer.

Welche Rechte haben Kunden generell beim Neuwagenkauf?

Das Auto muss laut ADAC fabrikneu sein, darf also keine Mängel infolge längerer Standzeit haben. Zwischen Herstellung des Autos und Abschluss des Kaufvertrages dürften zudem nicht mehr als zwölf Monate liegen. Ein Mangel liegt unter anderem dann vor, wenn dem Neuwagen Prospekt- oder Werbeaussagen fehlen. Konstruktionsänderungen etwa müssten Kunden nur hinnehmen, wenn sie "unerheblich" und "zumutbar" sind. In den ersten sechs Monaten nach dem Kauf muss der Verkäufer beweisen, dass das Auto zum Zeitpunkt der Übergabe mangelfrei war. Danach ist der Käufer in der Beweispflicht. Er muss den Verkäufer laut Autoclub zur sogenannten kostenlosen Nacherfüllung auffordern. "Der Verkäufer darf die Nachbesserung oder Ersatzlieferung nur verweigern, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist."

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